Preisgekröntes Passivhaus das Graue Haus von Oberursel
Nachhaltige Architektur in schlichter Schönheit
Energie / Energie sparen: Barocken Zierrat sucht man am und im Haus Heinrich-Kappus-Weg Nr. 12 im Taunusstädtchen Oberursel vergebens. Hier, inmitten der ehemaligen Militärsiedlung Camp King, wohnt und arbeitet das Architektenpaar Cornelia Thielen und Sergio Cantón. In weiser Voraussicht der Verteuerung fossiler Brennstoffe wie auch im Hinblick auf die Zukunft ihrer beiden Kinder haben die Architekten einen Holzständerbau entworfen, der in bester Energiesparmanier auf Passivhausniveau gedämmt ist. Die gelungene Verbindung von minimalistischer Architektur, nachhaltigen Werkstoffen und zeitloser Eleganz wurde im Frühjahr 2008 für vorbildliches energiesparendes Bauen in Hessen ausgezeichnet.Preisgekrönte Architektur
Der Architekturpreis des Hessischen Ministeriums der Finanzen und der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen wurde in diesem Jahr für ressourcenschonendes und energiebewusstes Bauen und Sanieren vergeben. Die Jury unter Vorsitz von Prof. Carlo Weber wählte aus 159 Arbeiten 26 Bauten aus und vergab insgesamt neun Preise sowie 17 besondere Anerkennungen. Der Architekturpreis „Vorbildliche Bauten in Hessen“ wird seit 1954 im 3-Jahres-Rhythmus verliehen und gilt als älteste regelmäßig ausgelobte Auszeichnung ihrer Art in Deutschland. Mit dem Engagement von Land und Kammer soll die Bedeutung des qualitativ hochwertigen Bauens als unverzichtbarer Bestandteil der europäischen Kultur betont und gewürdigt werden.
Schlicht ästhetisch
Dass das kompakte Einfamilienhaus etwas Besonderes sein muss, spürt der Betrachter auf den ersten Blick. Der in warmem Grau gehaltene INTHERMO-Deckputz verleiht der Fassade eine anziehende Aura. Grelles Scheinwerferlicht ist nicht erforderlich, um die Aufmerksamkeit von Passanten auf bestimmte Eigenheiten der Gebäudehülle zu lenken. Es ist vielmehr die unaufdringliche Schlichtheit der architektonischen Form- und Farbgebung, die den besonderen Reiz dieses wohnlich-funktionalen Baukörpers ausmacht. Alles findet sich an seinem funktionsbestimmten Platz; kein Detail, das überflüssig wäre. Der Stil ist vollkommen auf das Wesentliche konzentriert, ohne auch nur ansatzweise unnahbar zu wirken. Diese Selbstverständlichkeit, mit der der schlanke Neubau in der teils unter Denkmalschutz stehenden Siedlung Camp King seinen Platz einnimmt, lässt architektonisches Kalkül von beeindruckender Konsequenz erkennen. So kann es kaum verwundern, dass das „Graue Haus von Oberursel“ als Projekt Nr. 1063 auf der Liste vorbildlicher Passivhäuser steht, die das renommierte Darmstädter Passivhausinstitut im Internet auf der Seite www.passivhausprojekte.de präsentiert.Energie- und Kosten sparen
Weitgehend energieautarke, dabei auch von Normalverdienern bezahlbare Familienhäuser sind für Architektin Cornelia Thielen die Wohnform der Zukunft. „Es ist geradezu eine ethische Verpflichtung, auf Überflüssiges beim Hausbau zu verzichten und Materialien mit Bedacht zu wählen“, weiß Cornelia Thielen. Baustoffe, -elemente und -systeme, die den ihnen zugedachten Zweck langfristig erfüllen, die man auch im Zusammenspiel als nachhaltig bezeichnen kann, bestimmen dementsprechend den Charakter ihres eigenen Hauses. So belaufen sich die Kosten der Betriebsenergie für das haustechnische Systems im ganzen Jahr auf sensationell niedrige 300 EUR! „Das ist der Preis, den wir für unseren reinen Ökostrom bezahlen. Würden wir auf einen Mischtarif ausweichen, wären die Kosten noch geringer. Aber wenn man etwas für den Naturerhalt und Klimaschutz tun will, darf man einfach nicht an der falschen Stelle sparen“, sagt die Architektin.Ein Familienhaus
Familie Cantón Thielen lebt zu viert in ihrem äußerlich kompakten, innen funktional gegliederten, insgesamt sehr wohnlich wirkenden Holzständerbau. Das Hausbauunternehmen Wolf Ökohäuser aus Frankenau-Altenlotheim hat die Wandtafeln nach den Plänen der Architekten in geschlossenen Hallen vorgefertigt und die Gebäudehülle in nur zwei Werktagen regendicht errichtet. Der Ausbau bis zur Bezugsfertigstellung ging komplett innerhalb von fünf Monaten vonstatten, wobei die Vergabe und Koordination der einzelnen Gewerke an qualifizierte Subauftragnehmer unter der Regie des Holzbauunternehmens erfolgte.175 m² Wohnfläche stehen im Grauen Haus auf drei Ebenen zur Verfügung. Die mehrschaligen, 43 cm dicken Außenwände verfügen über eine Zellulose-Einblasdämmung im Gefach und ein INTHERMO Wärmedämmverbundsystem mit 60 mm starken Holzfaserdämmplatten plus passendem INTHERMO-Putzsystem. Dieser Wandaufbau schottet die Räumlichkeiten so gut gegen Kälte ab, dass auf konventionelle Heizkörper komplett verzichtet werden konnte. Stattdessen wird das Graue Haus mit Warmluft beheizt, die aus dezent gestalteten Lüftungsgittern geräuschlos austritt und zugfrei jeden Raum durchströmt. „Im Passivhaus lebt man konstant mit frischer, angenehm temperierter Luft. Das ist eine extreme Steigerung der Wohnqualität“, stellt Hauseigentümerin Cornelia Thielen fest. Zur Behaglichkeit trägt auch die passivhaustypische Dreifach-Isolierverglasung mit Edelgasfüllung der Scheibenzwischenräume bei; der Ug-Wert der speziellen Wärmeschutzverglasung liegt bei 0,6 W/(m²K), während heutige Standardverglasungen Ug-Werte von etwa 1,2 W/(m²K) aufweisen. Die Verglasung des Grauen Hauses ist also doppelt so gut wie vom Gesetzgeber gefordert.
Haustechnik im Dielenschrank
Zu einer intelligent geplanten, auf Nachhaltigkeit bedachten Haustechnik gehört in einem echten Passivhaus natürlich eine Anlage zur kontrollierten Be- und Entlüftung inklusive Wärmerückgewinnung. Im Grauen Haus, das durch das von Drexel und Weiss entwickelte aerosmart-Lüftungsgerät sowohl beheizt als auch permanent mit Frischluft versorgt wird, erzielt die integrierte WRG-Technik einen Wirkungsgrad von rund 90 Prozent. Das führt dazu, dass für Lüftung, Heizung und Warmwasserbereitung im Jahr nur 1.500 kWh an Betriebsstrom benötigt werden. Weniger ist kaum vorstellbar.
Die Luftvorerwärmung erfolgt durch einen Sole-Erdwärmetauscher. Der Solekorb wurde mit einer Schlauchlänge von rund 300 m in den Erdboden eingelassen und dort in drei Meter Tiefe verschlämmt. Der Clou: Während das System im Winter die Erdwärme nutzt, um Frischluft vorzuwärmen, wird im Sommer nach dem „Natural-Cooling-Prinzip“ zu warme Außenluft gekühlt, bevor sie als Frischluft über die Belüftungsrohe in die Wohnräume gelangt. Auf diese Weise herrschen im Grauen Haus stets um die 21,5 °C – ein Raumtemperaturniveau, das Umweltmediziner als besonders gesundheitsförderlich erachten.
Für Warmwasser zum Duschen, Baden, Händewaschen etc. sorgt ebenfalls die ökostrombetriebene Wärmepumpe, die das Brauchwasser im angeschlossenen 200-Liter-Standspeicher auf einem Temperaturniveau von mindestens 42 °C hält. Bemerkenswert ist, dass die gesamte Haustechnik inklusive Standspeicher in einen kompakten Wandschrank passt. Dadurch konnte der Bau eines Wohn- oder Nutzkellers entfallen. Die Bodenplatte, auf der das Haus errichtet wurde, ist dafür umso aufwändiger gegen Transmissionswärmeverluste isoliert. Auf eine vollkommene thermische Trennung des Baukörpers und der Bodenplatte vom umgebenden Erdreich wurde bei der Bauausführung sorgfältig geachtet, um späteren Raumwärmeverlusten über die Sohlplatte vorzubeugen.
Punktlandung auf dem Boden
Als Bodenbeschichtung erhielt das Disboxid-System von Caparol den Vorzug vor Fliesen und Parkett. Alle Räume wurden durchgehend mit der äußerst strapazierfähigen Grundbeschichtung 462 plus Decksiegel 464 ausgestattet, von den Wänden lediglich per Kellenschnitt getrennt. Eine ganz spezielle Art der kombinierten Boden- und Wandgestaltung findet sich im Bad: Ton in Ton wurde der Spritzwasserbereich am Boden wie auch an den Wänden der Duschzelle mit ein und derselben wasserabweisenden Epoxidharzbeschichtung von Caparol versehen. „Das sieht ästhetisch aus und ist zudem besonders leicht in Ordnung zu halten“, freut sich die Architektin. Über die Entscheidung, eine extrem robuste Bodenbeschichtung auf Epoxidharzbasis vollflächig aufbringen zu lassen, ist Cornelia Thielen im Nachhinein besonders froh; auch von der Kostenseite her. „Das Reinigen dieses Kunstharzbelags geht spielend leicht von der Hand. Die Robustheit des Decksiegels ist famos; man sieht keinerlei Laufspuren auf der Oberfläche. Und was die farbliche Gestaltung der Innenwände betrifft: Es war überhaupt gar kein Problem, den zur Bodenbeschichtung passenden Ton für die Wände zu finden“, lobt Cornelia Thielen die Flexibilität und Kreativität des gebietszuständigen Caparol Planers und Objektberaters Horst Liedtke aus Gemünden.
Die gesamte Oberflächenbeschichtung und Farbgebung – vom INTHERMO WDVS mit mineralischem Oberputz über das Disboxid-System für die Böden bis hin zum hochwertigen Anstrich der Innenwände – wurde mit hochwertigen Produkten aus Ober-Ramstadt realisiert. Unbeschichtet blieben lediglich die Treppenstufen, die sich auf besonderen Wunsch des Architektenpaares in puristischer Sichtbeton-Optik präsentieren.
„Klima-Komfort-“ statt „Passivhaus“
Trotz aller Begeisterung fürs Energiesparen – den Begriff „Passivhaus“ hält Cornelia Thielen für unglücklich gewählt, um Wohngebäude mit sehr geringem Energiebedarf wie das ‚Graue Haus’ zu charakterisieren. „’Passivhaus’ lässt vor meinem geistigen Auge keine Bilder entstehen und klingt wohl auch viel zu nüchtern, um Begeisterung auszulösen“, moniert die Architektin. Ein Haus sei doch in erster Line ein Ort zum Leben, Durchatmen, Kraftschöpfen, Sich-Entfalten, Regenerieren und Sich-Wohlfühlen etc. Die Würdigung eines Wohngebäudes auf den energetischen Aspekt zu verkürzen, werde dessen Bestimmung nicht gerecht. Viel lieber wäre es Cornelia Thielen, wenn ihr Hausbau ebenso wie ähnliche vergleichbare Objekte mit sofort verständlichen Attributen in Verbindung gebracht würde. „Wichtig ist doch, was das Wesen eines Entwurfs ausmacht!“, sagt sie. „Klima-Komfort-Haus“ wäre vielleicht nicht schlecht. Jedenfalls könnte es sich lohnen, über die Begrifflichkeit noch einmal gründlich nachzudenken, um die trefflichste Bezeichnung für die Wohnform der Zukunft zu finden.
Das Wichtigste auf einen Blick
Das "Graue Haus im Camp King" von Cantón Thielen Architekten wurde als so genanntes Passivhaus geplant. Gestalterische Einfachheit, Kostenminimierung und Energieeffizienz standen dabei im Vordergrund. So kam auf dem Betonfußboden durchgehend eine äußerst strapazierfähige Epoxidharzbeschichtung von Caparol zum Einsatz. Rein äußerlich entstand ein familiengerechtes Passivhaus in ökologischer Holzständerbauart, dessen Fassade durch die geometrisch klare Bauform und die Reduktion auf wenige Details gekennzeichnet ist.
Vor Transmissionswärmeverlusten werden die 43 cm dicken Außenwände durch eine Zellulose-Einblasdämmung im Gefach in Kombination mit dem tausendfach bewährten INTHERMO Wärmedämmverbundsystem geschützt. Dabei bilden 60 mm dicke Holzfaserdämmplatten die Grundlage für das vollflächig applizierte Putzsystem, das als mineralischer Deckputz mit 2 mm feiner Körnung beeindruckt. Als Farbton wurde für das Graue Haus im Camp King ‚Schiefer 13’ mit Hellbezugswert 28 gewählt.
Die Beheizung und Lüftung dieses Passivhauses erfolgt ebenso wie die Warmwasserbereitung ganzjährig über ein aerosmart-Kompaktgerät mit hocheffizienter Lüftungsanlage und integrierter Wärmerückgewinnung. Das haustechnische System wurde von Drexel und Weiss aus Wolfurth in Österreich entwickelt und auf das Graue Haus spezifisch abgestimmt. Die Entscheidung des Architektenpaares für reinen Öko-Strom als Betriebsenergie der Anlagentechnik reduziert den Kohlendioxid-Ausstoß des Wohngebäudes für Warmwasser und Heizung um nahezu 99 Prozent auf nur 60 kg pro Jahr. Zum Vergleich: Der Bundesdurchschnitt für einen vergleichbar großen Standard-Neubau einer 4-köpfigen Familie, die Öl-Brennwerttechnik zum Heizen wie auch zur Warmwasserbereitung nutzt, liegt laut Umweltbundesamt bei 4.760 kg. Insofern kann man Klima-Komfort- bzw. Passivhäuser wie das Graue Haus mit Fug und Recht als Bauform der Zukunft bezeichnen.
Text & Fotoquelle: Achim Zielke