Zur Erreichung der Klimaschutzziele ist Energiewende bei Wärme und Verkehr nötig
Energie / Energiepolitik: Deutschland erlebt derzeit das „Energiewende-Paradox“: Steigende Treibhausgas-Emissionen trotz steigender Anteile Erneuerbarer Energien. Eine heute im Vorfeld der Veröffentlichung des IPCC-Berichts zu Klimaschutzmaßnahmen veröffentlichte Analyse von Agora Energiewende zeigt nun: Die steigenden Emissionen in Deutschland sind nicht auf den Atomausstieg zurückzuführen. Verantwortlich ist vielmehr die Verdrängung der Erdgas-Stromerzeugung durch Stein- und Braunkohle sowie fehlende CO2-Reduktionen in den Bereichen Wärme, Verkehr und Industrie.
Während die Treibhausgasemissionen in Deutschland zwischen 1990 und 2010 stetig gefallen sind, steigen sie seit 2011 wieder. Dies gilt sowohl für die Gesamt-Treibhausgasemissionen als auch für den Bereich der Energiewirtschaft. Hintergrund sind zwei Trends, wie eine heute veröffentlichte Analyse von Agora Energiewende, einer Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation, zeigt. Innerhalb des Stromsektors wird zwar die wegfallende Stromerzeugung der Kernkraft nach Fukushima durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien überkompensiert, zudem sank der Stromverbrauch. Gleichzeitig aber verdrängen Braun- und Steinkohle-Kraftwerke am Strommarkt die CO2-ärmeren Gaskraftwerke, und die Stromexporte steigen. Der Trend zur Kohle wurde bestimmt durch den Preisverfall im europäischen CO2-Emissionshandel bei gleichzeitig hohen Gas- und fallenden Steinkohlepreisen.Frühere CO2-Reduktionserfolge bei Gebäude, Verkehr, Industrie bleiben nun aus
Hinzu kommt, dass in den anderen Bereichen - Gebäude, Verkehr, Industrie - die Reduktionserfolge der vergangenen Jahre ausbleiben. Der Anstieg der CO2-Emissionen in den Sektoren Haushalte und Gewerbe im Jahr 2013 gegenüber dem Vorjahr ist zwar vor allem auf den kalten und langen Winter Anfang 2013 zurückzuführen - aber dass dieser Kälteeinbruch so starke Spuren in der Treibhausgasbilanz hinterlassen hat, ist auf die schleppende energetische Sanierung der Gebäude zurückzuführen. Im Industriesektor bleiben die Treibhausgasemissionen seit Jahren - abgesehen von konjunkturellen Schwankungen - relativ konstant.Wir brauchen die Energiewende auch im Verkehrs- und Wärmesektor
„Über dieses Ergebnis braucht man sich nicht zu wundern, wenn in der Energie- und Klimapolitik nahezu die gesamte politische Aufmerksamkeit auf die Debatte über die EEG-Umlage verwendet wird,” sagte der Exekutivdirektor des IASS Potsdam Klaus Töpfer. „Wir dürfen die Energiewende aber nicht auf eine Stromwende verkürzen. Es ist an der Zeit, dass wir in Fahrt kommen, was die Wärme- und Verkehrswende betrifft. Nur dann kann Deutschland das Klimaschutzziel von -40 Prozent Treibhausgasemission bis 2020 erreichen und sich ernsthaft weiter als Vorreiter der Klimapolitik begreifen”, so der frühere Chef des UN-Umweltprogramms und aktuelle Vorsitzende des Rates von Agora Energiewende.Kohle-Konsens gefordert
„Die Energiewende im Stromsektor ist mehr als nur der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Ausstieg aus der Kernenergie. Es geht auch um die Bestimmung der künftigen Rolle von Kohle und Gas“, sagte der Direktor von Agora Energiewende, Patrick Graichen. Berechnungen der Gutachter der Bundesregierung für das Energiekonzept zeigten, dass bis 2030 der Kohleanteil von aktuell 45 Prozent auf 19 Prozent sinken müsse, um die mittelfristigen Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen. Hierfür brauche Deutschland eine schlüssige Transformationsstrategie für seinen Kohlesektor: einen „Kohle-Konsens“. „Ein nationaler Kohle-Konsens würde Regierung, Stromproduzenten, Gewerkschaften und Umweltgruppen zusammenbringen und Wege finden, um diesen schrittweisen Wandel gemeinsam zu gestalten”, so Patrick Graichen. „Es gibt in der Atmosphäre kaum mehr Platz für zusätzliche Emissionen. Einen unkontrollierbaren Klimawandel können wir nur verhindern, wenn der größte Teil der weltweiten Kohlevorräte unter der Erde bleibt. Was Deutschland hier tut oder unterlässt, hat weltweit eine Signalfunktion, weit über die eigentlichen Emissionsmengen hinaus“, erklärte hierzu Klaus Töpfer.Hintergrund: Das „Energiewende-Paradox“
Trotz eines steigenden Anteils Erneuerbarer Energien steigen seit 2010 die CO2-Emissionen des deutschen Stromsektors. Da der Rückgang der Stromproduktion in Kernkraftwerken durch den Ausbau der Erneuerbaren überkompensiert wird, resultiert das Paradoxon nicht aus dem Atomausstieg, sondern aus der Kombination eines sehr niedrigen CO2-Preises bei gleichzeitig hohen Gas- und niedrigen Kohlepreisen. Als Ergebnis erfolgt im Stromsektor ein Brennstoffwechsel von Kohle zu Gas. Aufgrund des gemeinsamen Strommarktes in Mitteleuropa führt dies auch in den Niederlanden und Österreich dazu, dass das emissionsarme Gas durch importierten Kohlestrom aus Deutschland verdrängt wird - dies erklärt auch den Rekord-Stromexport-Überschuss, den Deutschland 2013 erzielt hat.Quelle: Pressrelations / Agora Energiewende
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