Voraussetzungen für Windparks in Mittelgebirgen werden erforscht
Energie / Windenergie: Windparks im Mittelgebirge müssen wegen der ausgeprägten Geländestrukturen mit turbulenteren Windverhältnissen klarkommen als in der Ebene. Durch diese meteorologischen Bedingungen liegen bisher im bergigen Binnenland die Erschließungs- und Wartungskosten höher und genaue Ertragsprognosen fallen schwerer. Ein neues Windenergie-Testfeld des süddeutschen Forschungsverbunds WindForS soll helfen, die meteorologischen Wissenslücken zu schließen und die Anlagentechnik zu optimieren.
In Deutschland liegt der größte Strombedarf im Westen und Süden. Wenn künftig mehr Windstrom in der Nähe der Nachfrageschwerpunkte erzeugt würde, entlastete dies das Stromnetz. Aber Standorte für Windparks in den dortigen Mittelgebirgen weisen wegen des bergig-komplexen Geländes turbulentere Windverhältnisse auf als in den küstennahen Ebenen. Diese meteorologischen Bedingungen im Süden Deutschlands führen in den Prognosen über die Stromproduktion der Anlagen zu Unsicherheiten und Fehlern. Die Berechnungen werden in der Planungsphase eines Parks benötigt, um die Wirtschaftlichkeit zu bewerten. Außerdem verursachen die Windbedingungen höhere Belastungen für die Anlagenkomponenten als bei Standorten in der Ebene, was auch in Form von höheren Wartungs- und Reparaturkosten zu Buche schlägt.
Vier 100 Meter hohe meteorologische Messmasten
Am Stöttener Berg bei Geislingen an der Steige entsteht ein neues Windenergietestfeld für die Forscher aus Baden-Württemberg und Bayern, um die Anlagentechnik für solche Windverhältnisse zu optimieren. Auf dem Gelände werden vier 100 Meter hohe meteorologische Messmasten und zwei Forschungs-Windenergieanlagen (WEA) der 750 Kilowattklasse errichtet. Ziel ist, mit dem Testfeld eine vielseitige Plattform für künftige wissenschaftliche und industrielle Forschung zu schaffen. Projektleiter Andreas Rettenmeier vom federführenden Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) erläutert die Vorzüge des Standorts: „Der vorherrschende Westwind wird über die Kante der vorgelagerten Geländestufe beschleunigt und bildet unregelmäßige Strömungen und Turbulenzen. Zudem verfügt das Gebiet über eine hohe mittlere Jahreswindgeschwindigkeit.“
Turbulenzen und Strömungen messen
Die Messungen am Standort ergaben Beschleunigungen bis zum 1,8-Fachen der im weiteren Verlauf der Albhochfläche gemessenen Windgeschwindigkeiten. Weiterhin kommt es zu erhöhten Turbulenzen und Verwirbelungen des Windes infolge der Umströmung des Geländeverlaufs. Diese Bedingungen sind typisch für das bergig-komplexe Gelände. Die Messmasten stehen jeweils in Hauptwindrichtung vor und hinter den beiden WEA. Ergänzend erfolgen weitere Fernerkundungsmessungen, unter anderem mit lasergestützten Geräten, wie LiDAR, vom Boden und von den WEA aus, sowie unbemannten Messflugzeugen im Modellmaßstab. Zeitlich hoch aufgelöst werden Windgeschwindigkeit und -richtung, Luftfeuchte und -druck sowie An- und Nachlaufströmungen erfasst.
Zentrale Forschungsschwerpunkte sind Untersuchungen der WEA-Leistung sowie der mikroklimatischen und topographischen Einflüsse auf den Wind. Dazu werden vor, auf und hinter dem Testfeld der Austausch von Energie, Wasser und Spurengasen gemessen. Die Daten fließen in die Entwicklung verbesserter Programme für Leistungs- und Lastsimulationen ein. Diese Programme sollen die Strömungsverhältnisse von der Mesoskala bis hin zur Umströmung der Rotorblätter abbilden.
Den mechanischen Belastungen auf den Zahn fühlen
Die beiden Forschungs-WEA mit einer Nabenhöhe von 75 Metern und einem Rotordurchmesser von 50 Metern werden bereits beim Bau von den Tiefen des Fundaments bis hoch zu den Rotorblättern mit Sensoren bestückt. Damit lassen sich die auf die einzelnen Komponenten wirkenden mechanischen Belastungen ermitteln. Die Forscher haben zwei Anlagen der 750-Kilowattklasse gewählt, weil sich in dieser Größe Komponenten, zum Beispiel zur Erprobung neuartiger Rotorblätter, vergleichsweise einfach wechseln lassen. Andererseits lassen sich die in dieser Anlagenklasse gewonnenen Erkenntnisse auf die marktgängigen Multi-Megawattanlagen übertragen. Erstmals liegen dabei den Forschern die kompletten Konstruktions- und Strukturdaten sowie die Regelungsalgorithmen der beiden Forschungs-WEA vor. So lassen sich Belastungen der einzelnen Komponenten durch wechselnde Windbedingungen exakter abschätzen - und damit die Auswirkungen auf deren Lebensdauer.
Die beiden WEA werden auch dazu dienen, neue Material- und Konstruktionsprinzipien zu erproben. Weiterhin geht es um den Test optimierter Betriebsführungsstrategien, um intelligenter auf die wechselhaften Windverhältnisse reagieren zu können. Die Forscher arbeiten auch an Modellen, überschüssigen Windstrom besser speichern zu können. Ein Schwerpunkt betrifft die Interaktionen der Anlage mit dem Boden durch Vibrationen und Schwingungen. Dabei geht es einerseits um den Einfluss der Windstärke auf die Bodenemissionen der Anlage und andererseits um jahreszeitlich veränderte Bodenzustände wie Frost. Innerhalb einer ökologischen Begleitforschung werden Veränderungen an Fauna und Flora durch Errichtung und Betrieb des Testfelds beobachtet. Die Forscher wollen mit ihren Ergebnissen den Herstellern zu neuen Impulsen zur Verbesserung der Anlagentechnik verhelfen.
Über KonTest zu WINSENT
Die Errichtung und Inbetriebnahme des Testfelds sowie das wissenschaftliche Forschungsprogramm sind Teil des im Dezember 2016 gestarteten Forschungsprojekts Wind Science and Engineering in Complex Terrain (WINSENT). Der Bau des Testfelds soll im Spätsommer 2017 starten. Die Arbeiten fußen auf den Ergebnissen des vorangegangenen Projekts KonTest, in dem Konzeption und Anforderungen für das Testfeld entstanden. Diese bildeten die Grundlage für die Suche nach einem windhöffigen Standort auf exponierter Höhenlage. Mehr als 3.500 Gemeinden und Kommunen erhielten dazu Post von WindForS. Der ausgewählte Standort Stöttener Berg erfüllt diese Kriterien am besten. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und die Landesregierung Baden-Württemberg fördern das Projekt WINSENT mit insgesamt 11,6 Millionen Euro.
Das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden Württemberg koordiniert das Projekt. Partner sind die Universität Stuttgart, die Eberhard-Karls-Universität Tübingen, die Technische Universität München, das Karlsruher Institut für Technologie sowie die Hochschule Esslingen.
Quelle: BINE Informationsdienst
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